Multifunktionalität bei Planung- und Bau. Erfahrungen bei Eurac und der Freien Universität Bozen-Bolzano

Stephan Dellago
Vorbemerkungen

Was bedeutet der Begriff "Multifunktionalität"? Was bedeutet er in Planung und Bauausführung, und was bezogen auf die Möblierung und technische Ausstattung? Handelt es sich um eine weiteres modisches Schlagwort wie die überstrapazierte "Nachhaltigkeit", oder der Zauberterminus "Flexibilität", oder das modische "vernetzte Denken und Arbeiten"? Oder wird hier gar die Quadratur des Kreises versucht?

Was folgt, ist weder der Bericht eines Bibliotheksexperten, noch eine wissenschaftliche Abhandlung zum Thema. Ich kann dem geschätzten Publikum ausschließlich mit einigen Erfahrungen als Projektsteurer oder als Berater in der Entwicklung und Begleitung dreier Südtiroler (Bibliotheks-)Projekte dienen, die da wären:

  •   Eurac und ihre Bibliothek
  •   Freie Universität Bozen: Sitz Bozen und seine Bibliothek (Uni BZ)
  •   Freie Universität Bozen: Sitz Brixen und seine Bibliothek (Uni BX)

Bei allen diesen drei Vorhaben war ich vom Anfang, d.h. von der Aufgabendefinition und der Entwicklung der Raumanforderungen, über die Planung und die bauliche Umsetzung bis zur Schlüsselübergabe (und darüber hinaus) am Projektgeschehen beteiligt.

Aufgabenstellung und Zieldefinition im Projektmanagement

Es sei gestattet, das eigentliche Vortragsthema in größerem Abstand zu umkreisen und kurz auf die Grundzüge des Projektmanagements einzugehen, die für diese Projekte wie für alle anderen gelten und für einen klaren Umsetzungsprozess von grundlegender Wichtigkeit sind.

Damit überhaupt von einem Projekt gesprochen werden kann, sind gem. Begriffsdefinition folgende drei, durchaus banal klingende Punkte klar und eindeutig festzulegen:

  •   Qualität
  •   Kosten
  •   Zeit

Dies ist die erste Aufgabe und gleichzeitig wohl der wesentlichste Schritt im Projektmanagement, weil damit die Weichen gestellt und die Rahmenbedingungen festgelegt werden, an welchen das Projekt laufend zu messen und zu bewerten ist.

Was aber ist die "Qualität"? Offensichtlich geht es hier um all jene Eigenschaften, welche das Endprodukt (in unserem Fall die verschiedenen Bibliotheken) aufweisen soll. Es geht also um:

  •   die Definition der Aufgabe,
  •   die Entwicklung eines Anforderungskataloges,
  •   die Umsetzung in ein Raumprogramm,
  •   die Formulierung der Funktionsvorgaben und -zusammenhänge, etc.

Es geht also um Funktionsbereiche, Räume, Größen, Erschließungen, Materialien, um die Ausstattung, usw. usf. Dass es dabei gilt, die wesentlichen Anforderungen herauszudestillieren, ohne deren Umsetzung in ein zu enges Korsett zu legen, ist klar, führt aber doch immer wieder zu internem Klärungsbedarf. Faktisch geht es darum, die Anforderungen möglichst klar zu stellen, während deren Umsetzung erst mit dem konkreten Projekt erfolgen kann, das wiederum durch die Formulierung der Anforderungen gelenkt, nicht aber in der Kreativität der Lösungsfindung zu stark beeinträchtigt oder gar verhindert werden soll. Welche Rolle dabei die im Titel genannte Multifunktionalität spielen kann und darf, wird später vertieft.

Im Sinne der Realisierung und -barkeit des Vorhabens müssen über die Qualitätsdefinition zwangsläufig bereits die Rahmenbedingungen von Kosten und Zeit festgelegt werden, da zum einen letztere beide ebenso wesentliche Entscheidungskriterien für das gesamte Projekt darstellen, zum anderen aber sich die drei Kriterien gegenseitig bedingen und in direkter Wechselwirkung zueinander stehen. Wird in eines dieser drei Kriterien eingegriffen, so sind umgehend die Auswirkungen auf die beiden anderen zu berücksichtigen und gegen zu prüfen.

Die Qualitätsdefinition wiederum beginnt mit der richtigen Fragestellung: Was soll "es" (das Resultat) werden, was soll es können, was sind die Schwerpunkte? Was sind zwingende, was gewünschte Anforderungen? Ebenso wichtig ist aber auch folgende Frage und deren Abklärung: Wer stellt diese Fragen? Wer verfügt über die Verantwortung, muss/darf das ganze dann auch bespielen und führen? Wer verfügt über die - auch verschiedenen - fachlichen Kompetenzen? Und wer verfügt über die Budget-Befugnis, die zwangsläufig bereits in die Fragestellung einfließt?

In der Beantwortung der Fragen und somit in der Lösungsfindung ist die Abklärung der o.a. drei Kriterien, nämlich:

  •   wer hat die fachliche Kompetenz,
  •   wer hat die Befugnis / Autorität,
  •   wer trägt schlussendlich die Verantwortung?

ebenso von wesentlicher Bedeutung und ist Voraussetzung für eine korrekte Anordnung der Entscheidungsstuktur(en).

Damit ein Projekt von Anfang an gut beginnt, sind neben der Definition der Zielkriterien Qualität, Zweit, Kosten also auch die beteiligten "Figuren" oder "Aktoren" festzulegen. Es gilt:

  •   ihre jeweilige Rolle zu definieren (Initiator, Bauherr, technische Verwaltungsstruktur, Projektmanager, Experten, Nutzer, Planer, Bauleiter, Ausführende, ...)
  •   ihre Aufgaben und Kompetenzen zuzuweisen, und
  •   die Entscheidungsstrukturen gem. den o.a. Kriterien zu definieren und in einem Organogramm festzuhalten.

Die Ausgangslage der drei Projekte

Alle drei Bauvorhaben im Gesamten wie insbesondere ihre Bibliotheken sind als neu gegründete Institutionen baulich umgesetzt worden; es gab also in der Phase der Aufgabendefinition weder eigene Erfahrungswerte, noch einen konsolidierten Betrieb. Dies hatte durchaus Vorteile: Innovation war möglich und explizit erwünscht, es gab keine "Altlasten", das Team war jung und dynamisch. Aber auch relevante Nachteile: es fehlten die Erfahrungen (vor allem mit der angestrebten Größenordnung), es gab noch keine wirkliche Routine im täglichen Betrieb. Um den Erfahrungsmangel zu kompensieren, wurden verschiedenste Referenzobjekte geprüft, besucht, analysiert, und Fachleute in die Vorgabendefinition wie auch in die Projektbewertung miteinbezogen. Insbesondere mein Mitreferent Dr. Klaus Kempf hat die Entwicklung der beiden Universitätsbibliotheken entscheidend mitgeprägt.

Eine weitere Eigenheit ist übrigens allen drei Vorhaben gemein: sie alle wurden - noch in Phase der Raumprogrammerarbeitung - in einem ersten Schritt in "Provisorien" untergebracht, in welchen der Betrieb aufgenommen wurde und eine erste Konsolidierung erfuhr. Parallel dazu wurden die Planungswettbewerbe ausgeschrieben und die Projekte umgesetzt. In dieser Zwischenzeit konnten die Aufgabenstellungen verfeinert und die Realisierung gemeinsam mit den Planern vertieft, gleichzeitig aber auch anhand der ersten eigenen Erfahrungen kritisch hinterfragt werden.

Bei allen drei Vorhaben waren die Bibliotheken nicht die Hauptaufgabe, sondern ein (durchaus wichtiger) Teil. Aufgrund der Wichtigkeit und der Umfassendheit der Aufgabe "Bibliothek" wurden sie als kleines Projekt im Projekt behandelt. Vorteil: der Bibliotheksbereich stand zwar immer im Zentrum der Aufmerksamkeit der spezifischen Nutzergruppe (Bibliotheksleitung), nicht immer aber der Bauherrenschaft; daher waren teilweise auch größere Freiheiten möglich.

Nachteil: Der Entscheidungsträger war nicht unmittelbar Bibliotheksfachmann; somit war eine weitere Ebene in der Entscheidungsstruktur gegeben.

Da die Hauptaufgabe der Planung eben nicht die Bibliothek war, gab es nutzerseitig bei manchen die Befürchtung, dass der jeweilige Bibliotheksbereich zugunsten anderer Bereiche Abstriche erfahren würde. Zur Erleichterung wurde aber seitens der Planer eine starke Zuneigung zum Thema "Bibliothek" festgestellt; in jedem Projekt wurde die Bibliothek - nahezu automatisch - auch im Projekt für die Planer zum zentralen Thema.

Grundannahmen in der Definition der Anforderungen

In der Aufgabendefinition wurden folgende Haltungen (auch kontrovers) diskutiert, die dann aber von den Erfahrung im Nachhinein bestätigt wurden:

  •   Die richtigen Ansprechpartners ist eine der wesentlichsten Anforderungen.
  •   Jede Entscheidung bedeutet i.a. den Verzicht auf die Alternativentscheidung.
  •   Flexibilität ist kein Ersatz für fehlende Zielvorstellungen; sie kann nur eine Hilfe in der Umsetzung und im Betrieb sein. Solange sich Menschen zwischen physischen Objekten (Büchern, Regalen, Sitzgelegenheiten, Arbeitsmöglichkeiten) bewegen, ist die vollständige Flexibilität Utopie. Dass dies übrigens auch im ICT-Bereich gilt, wenn auch abgemildert, werden Fachleute bestätigen.
  •   Funktionsüberlagerungen können sinnvoll sein; sie können aber nicht erzwungen werden. Die berüchtigte "eierlegende Wollmilchsau" wurde noch nicht erfunden.Anders gesagt: bereits in der Aufgabendefinition muß eine klare Sichtung und Reihung der Anforderungen erfolgen, um nicht unmögliches zu verlangen.

Kann Flexibilität überhaupt "geplant" werden?

Wenden wir uns kurz zwei historischen Beispielen zu:

  •   Das Altes Spital Bozen (geb. ca. 1860): war Kaserne, Spital, Schule, Museum, beherbergt jetzt Universität. Außer der ersten dürfte wohl keine der angeführten Funktionsbelegungen geplant worden sein.
  •   Das GIL-Gebäude, heute Eurac (errichtet 1936): war Jungendzentrum, beherbergte nach dem Krieg ein Kino, Werkstätten, Lagerräume, Büros, wurde zum Wohnheim, Theater, etc. Der jetzige Bibliothekssaal war zur Zeit des Jugendzentrums eine Turnhalle, später Kaufhaus, Ausstellungsraum, Lager- und Musterraum, jetzt Lesesaal.

Flexibilität war bei beiden Strukturen nie geplant worden; aber die räumlichen Kerneigenschaften Struktur, Belichtung und Raumproportionen ermöglichen durchaus eine flexible Nutzung.

Anders gesagt: je offener, einfacher, großzügiger Räume geplant werden, umso leichter lassen sie sich für neue und nicht vorhergesehene Anforderungen nutzen. Dies gilt für alte wie für neue Bauvorhaben. Und es kommt immer anders als geplant. Auch bei unseren Projekten wurden gleich zu Anfang ähnliche Erfahrungen im kleineren Masstab gemacht: Änderungen, die weder geplant, noch vorhersehbar waren, mussten von den Projekten resp. den Baulichkeiten berücksichtigt werden.

  •   Uni BZ: das Sprachenzentrum wurde aufgrund neuer Anforderungen der Fakultäten ganz ausgelagert, deren Räume wurden von einer Fakultät übernommen; die Gruppencarrels in der Bibliothek wurden nicht recht angenommen, konnten aber problemlos zu PC-Räumen umfunktioniert werden.
  •   Uni BX, Bibliothek: da sie im Projekt nicht mehr im eigentlichen Bibliotheksbereich Platz fanden, mussten die Büros ausgelagert werden, fanden aber eine günstige neue Anordnung. Auch wurde der Medienraum zum (auch unabhängig von der Bibliothek nutzbaren) Sprachen-PC-Raum umdefiniert.
  •   Eurac, Bibliothek: aufgrund der Anforderungen eines anderen Projektes wurden die Bibliothek-Büros erst in andere Gebäudeteile ausgelagert, dann ganz gestrichen; jetzt werden sie im Eingangsbereich mit dem Info-Bereich zu einer Einheit "verschweisst".

Diese Flexibilität war nicht geplant; alle diese "Lösungen" und Funktionsverschiebungen waren nur umsetzbar, weil sie in den konkreten Projekten aufgrund der Raumanordnung und -struktur, der Verbindungswege etc. Eben möglich waren.

Die Multifunktionalität als Planungs- und Bewertungskriterium

Die Multifunktionalität ist wohl als Überlagerung verschiedener Funktionen zu definieren, wobei dies zeitlich synchron wie auch versetzt erfolgen kann. Dabei gilt: ebenso wie die "Flexibilität", kann und darf die Multifunktionalität nicht als Ersatz für nicht beantwortete Fragen stehen, sondern muß ausschließlich als Berücksichtigung verschiedener, aber immer klar definierter Anforderungen verstanden werden. Anders gesagt: finde ich nicht Antworten auf die Frage "wer / was muß was können?", oder kann ich mich nicht zu klaren Entscheidungen durchringen, kann ich auch nicht erwarten, dass der Planer und somit das Projekt / das Gebäude / die Einrichtung dies für mich machen.

Wo wird Multifunktionalität verlangt, wo kann sie in einer Bibliothek umgesetzt werden? Als erster Schritt sollten in einer Analyse die Funktionsbereiche auf ihre primären funktionellen Anforderungen hin untersucht werden. Geeignet scheinen hierzu die Kriterien "offen / geschlossen", oder auch "kommunikativ / introvertiert". Welche Funktionsbereiche sind offen und können somit als Teil eines größeren Organismus interpretiert werden: Empfang / Ausleihe, Info, OPAC, Regale, Leseplätze, Lernplätze, Ausstellungsfläche,... Was sind hingegen klar definierte, in sich geschlossene Bereiche: Besprechungsräume, Carrels, PC-Pool, Seminar- und Vortragsräume, Büros, Lagerraum, WC's, ...

Bereits dieser Ansatz ist offensichtlich diskutierbar, hängt die Klassifizierung doch wiederum auch von der tatsächlichen Projektlösung abhängig. Wie bereits gesagt: eine zu detaillierte Vorschreibung der Anforderungen kann Umsetzung durchaus auch zu stark konditionieren. Andererseits: nur wenn die Anforderungen, eben auch hinsichtlich der o.a. Kriterien, klar definiert sind, kann eine gute Umsetzung erfolgen. Wichtig ist also: exaktest mögliche Beschreibung, was wie wo passieren soll, damit in einem zweiten Schritt die Funktionen auf ihre Verwandschaft hin geprüft und entsprechend ausformuliert werden können. Funktionen, die in ihren Anforderungen verwandt sind, können dann auf ihre Eignung hin geprüft werden, ob sie in einem einzigen Raumgefüge angeordnet werden können.

Beispiel Lesesaal: Untersuchungen zeigen, dass ein gewisser Grund-Geräuschpegel für die Konzentration förderlich ist. Es geht also im spezifischen Fall nicht darum, jedes Geräusch zu eliminieren (damit wäre auch nicht mehr die Kombination mit anderen Funktionen möglich), sondern einen "Grundgeräuschteppich" zu finden; dies wiederum lässt sich über eine Kombination verschiedener Detailfunktionen leichter Bewerkstelligen als über eine strenge Segregation. Die wesentlichen Parameter wie Medienbestand, Leseplätze, Zusatzfunktionen, etc. sind grundlegende Planungsgrößen, die nicht mit Flexibilität ersetzt werden können. Sie sind sorgfältig zu erarbeiten und aufeinander abzustimmen. Fehlen Erfahrungswerte (wie in vorliegendem Fall), ist auf Referenzobjekte und externes Fachwissen zurückzugreifen.

Wohl aber erleichtert eine Annäherung und Überlagerung verschiedener Funktionen (eben eine korrekt angesetzte Multifunktionalität) die Nutzung der Struktur und ermöglicht bei Schwankungen und/oder Änderungen der Parameter eine leichtere und kostengünstige Reaktion, indem die einzelnen Funktionen des Bereiches innerhalb einer sinnvollen Bandbreite aufeinander reagieren.

Fazit: je mehr Funktionsbereiche sich in einen großzügigen und einfachen (baulichen) Kontext einfügen lassen, umso flexibler bleibt das Gefüge. Je mehr hingegen eine Lösung "kleinmaschig handgestrickt" ist, umso weniger flexibel und um so klarer monofunktional wird sie ausfallen.

Eine Kombination verschiedener Nutzergruppen einer einzigen Struktur führt übrigens zwangsläufig zu einer multifunktionellen Lösung, wenn die Anforderungen der einzelnen Berücksichtigung finden sollen.

  •   Eurac: die Kombination der wissenschaftlichen Eurac-Bibliothek und der Öko-Bibliothek führt zu einem bunt gemischten Publikum. Neben hochwissenschaftlichen Publikation führt die Bibliothek nun auch Populärwissenschaftliches und unterhaltsames bis hin zu "Schöner Wohnen" (das uns Architekten i.a. als abschreckendes Beispiel gilt). Dieser Aufgabe muß die Bibliothek gerecht werden, indem sie die veschiedenen Funktionen in einem Gesamtkontext erfüllt.
  •   Universität Bozen: aufgrund der unterschiedlichen Fakultäten ergibt sich hier ebenso ein recht inhomogenes Nutzerprofil von Wirtschaftsstudenten bis zu Designstudenten (man denke an die witzige hausinterne Polemik um die barfuß frequentierenden Designstudenten ...). Auch hier ergeben sich aus den Unterschieden der Medien wie der Studierweise faktisch unterschiedliche Anforderungen an die Bibliothek.

Die Umsetzung der Projekte

Werden die drei Bibliotheks-Bauvorhaben auf ihren entwerferischen / planerischen Ansatz hin reduziert, ergibt sich folgendes Bild:

  •   Eurac: zwei klare Bereiche: ein großer Lesesaal als Box, eine Reihe an ergänzenden Funktionen vorgelagert. Seminarblock beigestellt.
  •   Uni BZ: ein großer zusammenhängender Bereich, der viele kleine Satelliten inklusive Seminare hat. Sprachenzentrum angelagert.
  •   Uni BX: ein Aufeinanderfolgen einzelner (unmittelbar verwandter) Bereiche; Seminarbereich ausgelagert, PC-Bereich an Schnittstelle.

Bereits hier zeigt sich der (durchaus verschieden angegangene) Ansatz, Flexibilität und Multifunktionalität in den einzelnen Projekten anzusetzen. Dass hierbei viele weitere Faktoren wie Bauareal, baulicher Bestand, weitere Funktionsbereiche, Urbanistik, Konstruktion etc. mitspielen und erst in Summe der Entwurfsansatz ergeben, sei hier erwähnt, aber wissentlich (wenn auch nahezu sträflich) vernachlässigt.

Aber zurück zur Theorie: Wie also können Multifunktionalität und Flexibilität baulich ermöglicht (zumindest nicht verhindert) werden?

Folgende Themen können wohl als Voraussetzung angeführt werden:

  •   Großzügiger Platzbedarf (Stützenstellung, Raumproportionen, Raumhöhe, Nutzlast / Tragsystem, Fluchtwege / Brandschutz, ...).
  •   Gleichmäßige Belichtung (kann aber durchaus variieren; auf eine durchgehende natürliche Belichtung sollte aber auf jeden Fall bestanden werden).
  •   Haustechnik (Belüftung, Heizung, Klimatisierung...): gleichmäßige Beschickung.
  •   Elektroanlagen: gleichmäßige Stromverteilung (Normal, USV). Installationsboden oder sehr großzügige Ausstattung mit Kabeltrassen / Kanälen und entsprechend vielen Wand- und Bodendosen haben sich beim aktuellen Stand der Technik als wichtige Voraussetzung gezeigt.
  •   Datennetz: ausreichende Verteilung, Ergänzungsmöglichkeiten (Uni und Eurac haben derzeit bereits Wireless-Lan in Versuch).

Beispiel Seminarräume:

Es macht keinen Sinn, Seminarräume mit dem Lesesaal / Freihandbereich zu verschmelzen, wohl aber können die Funktionen übergreifen: Lesungen und Vorträge können im Lesesaal stattfinden, dafür können Seminarräume zu Gruppenarbeitsräumen der Bibliothek werden.

Beispiele für geplante / erzwungene Multifunktionalität und Flexibilität in Nutzung:

Eurac:

  •   Büros wurden wie bereits erwähnt anderweitig genutzt, wurden daher davor ausgelagert, jetzt anstelle des Zeitschriftenbereiches als offenes Büro mit Infofunktion im Bibliothekszubau vorgesehen.
  •   Lesegalerie im Saal: fand wenig Zuspruch, wird jetzt zum Zeitschriftenbereich umgewidmet.
  •   OPAC-Plätze und kontrollierte Leseplätze werden zu allgemeinen Internet-Plätzen, da nach wie vor eine große Nachfrage gegeben ist.

Uni BZ:

  •   Gruppencarrels werden zu PC-Pool-Räumen.
  •   Ausstellungsraum wurde zu Garderobe.
  •   Vorbereich wurde zu Zeitungsbereich.
  •   Lichthof wird zum polyfunktionalen Veranstaltungsbereich (Eröffnungen, Verleihungen, Ausstellungen).

Uni BX: Da der Umzug erst ansteht, werden sich mögliche Änderungen noch zeigen. Dabei sei die Anmerkung gestattet, dass der vorhandene rigide Stützenraster, der Möbelstellung etc. zwar ästhetisch unmittelbar Ergebnisse bringt (und diese Ästhetik auch sichert), die Flexibilität aber empfindlich eingrenzen dürfte.

Multifunktionalität in der Möblierung

Die Flexibilität einzelner Möbelstücke ist, wenn nicht schon Voraussetzung, so doch wesentliche Hilfe in der Umsetzung einer geplanten Multifunktionalität. Da dieses Thema allen mehr als geläufig ist, hier nur zwei kleine Beispiele:

  •   Regale: es gibt ausgereifte Systeme, die die Möglichkeiten wie die Anforderungen daran ja allen bekannt sind: leichte Handhabung (Gewicht), leichte Ergänzbarkeit und Umbaubarkeit, Nachliefergarantie, vollständiger Zubehörkatalog, etc. Serienmöbel liefern entsprechende Sicherheit. In Brixen wurde hingegen der versuch gemacht, über Maßmöbel annähernd gleiche Flexibilität zu erzielen. Ob dies tatsächlich funktioniert, wird die Zukunft zeigen. In Eurac wurde zwar ein erprobtes Stahlregalsystem eingesetzt, doch dessen Flexibilität wurde wieder durch ein massgeschneidertes Beleuchtungssystem und Lüftungsauslässe eingeschränkt (damit ist die Stützenstellung nicht mehr frei wählbar, die Regale nicht mehr problemlos verstellbar, etc.).
  •   Seminartische: Die Seminartische der Eurac wurden so gewählt, dass sie stapelbar, individuell handhabbar und für die verschiedenen Nutzungen (s.u.) geeignet sind. Voraussetzung waren also die Ausstattung mit Rädern, ein geringes Gewicht, und trotzdem eine ausreichend große und ebene Tischfläche (ca.80/80cm); entsprechende Serienprodukte sind durchaus auf dem Markt erhältlich.

Übrigens: Seminarräume können auch bei rigider Raumkonfiguration eine Jokerfunktion einnehmen; bei entsprechender Möblierung können sie problemlos als Gruppenarbeitsraum, Einführungsraum, PC-Übungsraum, Mitarbeiter-Gruppenbüro, etc. verwendet werden. Auch über die Kombination verschiedener Möbel läßt sich eine flexiblere Nutzung eins klar definierten Raumes erzielen:

  •   Beispiel Leseplätze: Die verschiedenen Angebote (Anleseplatz im Stehen, Arbeitsplatz am Schreibtisch, Leseplatz auf der Couch), mit entsprechender Beleuchtung unterstützt, ergeben eine Vielzahl an Möglichkeiten und Detailfunktionen; daraus resultiert durchaus eine Multifunktionalität im Kleinen. Gleichzeitig können diese Lösungen jederzeit leicht und mit geringem Aufwand ergänzt oder abgeändert werden.

Flexibilität in der Möblierung hängt also nicht von einem Einzelmöbel ab: aus einzelnen, klaren Vorgaben (zum Raum wie zu den Möbelstücken) kann ein vielschichtiges Modell entstehen.

Multifunktionalität in der Gebäudetechnik

Die neuen Technologien ergeben eine Vielzahl an Visionen, aber auch konkreten Möglichkeiten. Dass deren Umsetzung nicht immer reibungslos funktioniert, zeigen die Erfahrungen. Übrigens hatte Buster Keaton im Stummfilm "The Electric House" (1922) bereits ähnliche Probleme ironisierend vorausgesagt.

Das Lernen am PC ist in den letzten 15 Jahren ebenso zur Selbstverständlichkeit geworden, wie die laufende Nutzung des Internet. Die entsprechenden Möglichkeiten dürfte noch lange nicht ausgelotet sein, der derzeitige Einsatz läuft allerorten recht problemlos. Interessantes Detail: der Einsatz des Wireless-Lan erfolgt zur Zeit probeweise in der Universität und in der Eurac. Auch hier dürften wir erst am Anfang einer Entwicklung hin zu noch weit höherer Flexibilität stehen; allerdings ist anzumerken, dass die Vor- und eventuellen Nachteile noch nicht wirklich erschöpfend untersucht wurden.

Über die eigentliche persönliche Computer-Nutzung hinaus lassen sich über Sonderanlagen viele Funktionen vereinfachen, für den Betreiber verbilligen und den Nutzer flexibler gestalten. Auszugsweise seine folgende Möglichkeiten genannt:

  •   Selbstverbuchung,
  •   Buchsicherungssysteme,
  •   Zutrittskontrolle (auch außerhalb der regulären Betriebszeiten),
  •   Bargeldlose Zahlfunktionen (Kopieren, Gebühren, Mensa, Snacks, etc.).

Alle diese Funktionen sind in der Universität und in der Eurac bereits über die Studentenkarte abgedeckt, und sie laufen problemlos!

Interessanterweise ergeben sich hingegen gerade mit den "traditionelleren" Haustechnikanlagen wie Klima- und Lüftungsanlagen, Alarmanlagen, etc. immer wieder Probleme, welche die Nutzung auch wesentlich beeinträchtigen können. Die Erfahrung zeigt, dass die (theoretisch durchaus überschaubare und beherrschbare) Komplexität der Anlagen zu Anfälligkeit und relevanten Problemen in Startphase führen. Unzählig waren die Fehlalarmauslösungen in der Universität, sehr belastend waren auch die Probleme mit der Klimaanlage in der Eurac-Bibliothek.

Und zu guter Letzt als Fazit aus diesen Problemen: auch die Übersiedlung müßte "flexibel" gesehen werden. Nach Baufertigstellung und der ersten Mängelbehebungsphase müsste eine nicht zu kurz bemessene Phase der Inbetriebnahme - noch ohne Publikum! - erfolgen, bevor nach 2-3 Monaten die tatsächliche Öffnung für das Publikum stattfindet. Nur so kann wohl davon ausgegangen werden, dass die angestrebten Funktionen (zumindest ein Großteil davon) auch tatsächlich nach Plan funktionieren.




LIBER Quarterly, Volume 14 (2004), No. 2